Gefeiert wie ein Rockstar: Nino Haratischwili (mit Freundin Julia Nowikowa)

Die gebürtige Georgierin bringt Literatur auf höchstem Niveau in die Lesbar

Zum Abschluss unseres  "10 Jahre Lesbar" Jubiläums gab uns die gebürtige Georgierin erneut die Ehre. Nach 2016 mit "Das achte Leben - Für Brilka" stellte sie diesmal ihren neuen Roman "Die Katze und der General" vor. Eine Geschichte, die der Frage nachgeht, was normale Menschen zu Monstern werden lässt, die sozusagen aus heiterem Himmel unsagbare Gräueltaten begehen. Eine Geschichte, mit der sie das Publikum in der ausverkauften Lesbar mitten hinein in den Tschetschenienkrieg führte. Ein grausamer Krieg, der im Land selbst offiziell in den Geschichtsbüchern gar nicht vorkommt. Der aber bei den Menschen dort nach wie vor omnipräsent ist, wie sie bei ihren Recherchen vor Ort persönlich feststellen konnte. Die Gräueltaten, mit denen sie bei den Recherchen konfrontiert wurde, führten sie als Autorin selbst an ihre Grenzen. Ausgleich verschaffte ihr dann das Windelwechseln ihrer kleinen Tochter. Nino Haratischwili kam in Begleitung ihrer Freundin Julia B. Nowikowa in die Lesbar, die sich als Designerin der beiden charakteristischen Buchcover entpuppte. Ein seit Jahren erprobtes Team, das gemeinsam ganz nebenbei bereits mehrere erfolgreiche Theaterinszenierungen auf die Bühne gebracht hat, zuletzt in der Hamburger Elbphilharmonie. Auf die Frage, wie sie das alles schafft, meinte die preisgekrönte Autorin, Regisseurin und "Familienunternehmerin", die zur Zeit auch noch auf Dauer-Lesereise ist, dass ihr das alles gar nicht so schlimm vorkommt. Sie macht es einfach gerne.

 

Gute Unterhaltung: Jakob Hein begeistert in der Lesbar

"Die Orient-Mission des Leutnant Stern", unglaublich aber wahr

Er fühle sich sehr wohl in Weilheim, er sei auch schon im Trachtenladen gewesen. Das war das Opening der Veranstaltung in der Lesbar, die eher eine lockere Unterhaltung zwischen zwei guten Bekannten, in diesem Fall dem extra aus "Preußen" angereisten Schriftsteller Jakob Hein und Moderator Roland Bosch war. Es war jedenfalls keine gewöhnliche Lesung, wie das amüsierte Publikum in der Lesbar in den folgenden eineinhalb Stunden feststellen konnte. "Die Orient-Mission des Leutnant Stern", Jakob Heins neuester Roman, führte die 50 Zuhörer mitten hinein in den 1. Weltkrieg und in eine aus heutiger Sicht aberwitzige Geschichte. "Alles ist genauso passiert", versicherte der vor Energie sprudelnde Berliner, der in drei kurzen Lesepassagen immer wieder in die Rollen seiner Protagonisten schlüpfte. Fasziniert von der Person und dem Wagemut des Leutnants Edgar Stern sei er gewesen, dem er mit seinem Roman nun ein literarisches Denkmal setzte. Schade, dass Edgar Stern 1972 bereits verstorben ist. "Der Roman hätte ihm sicher gefallen", davon ist Jakob Hein überzeugt. Es ist ein Roman, der fast ganz ohne Frauen auskommt. Der Krieg sei nun mal Männerdomäne, so Hein. Immerhin gibt es eine Protagonistin in seinem Buch, die das Ganze auf den Punkt bringt: "So war es schon immer: die Männer machten Krieg, und die Frauen konnten hinterher wieder aufräumen." 

Ein Herz für Tiere

Jürgen Teipel präsentierte unglaubliche Tiergeschichten

 

Jürgen Teipel war lange Jahre in der Musik- und Punkszene aktiv, bevor er sich dem Schreiben widmete. In seinem Buch "Unsere unbekannte Familie" hat er 39 kurze Geschichten über Tiere, deren Verhalten in uns Menschen ungläubiges Erstaunen hervorruft, zusammengetragen. Einige davon hat er in der Lesbar vor trauter Runde präsentiert. Etwa von dem Dachs, der mitten in Berlin in einem abgeriegelten Hinterhof hauste. Nacht für Nacht durchstreifte er die Treppenhäuser, stupste mit der Nase an alle Türen, weil er einen Weg ins Freie suchte, bis endlich jemand das Tor zur Freiheit für ihn öffnete. Oder die Geschichte vom Eichhörnchen, das sich einen Menschen suchte, und trotz aller Bemühungen nicht mehr von diesem einen Menschen wich. Selbst unter der Dusche nicht und auch nicht im Bett. Lustig, erheiternd und anrührend allesamt. Außer die Geschichte vom Schweinemastbetrieb, mit der der überzeugte Vegetarier sein Publikum auch mit der Kehrseite unserer Beziehung zu Tieren konfrontierte. Dabei blieb er zurückhaltend und ohne anzuklagen. Eine Geschichte, die betroffen und nachdenklich machte. Die einzige. Danach ging's versöhnlich amüsant weiter mit den Eseln, die zählen konnten. Und wie bei jeder seiner Lesungen, hatten auch Zuhörer in der Lesbar selbst erlebte Tiergeschichten beizusteuern. Futter für einen Fortsetzungsband  an dem der Autor bereits arbeitet.  

 

Geisterstunde mit Sonja Eschke und Band

Jazziges "Grusical" für Kinder mit dem lieben Gespenst Fridolin von Freigeist

So viele Gäste unter 10 Jahren hat es bei einer Lesbar-Veranstaltung noch nie gegeben. Was Sonja Eschke zusammen mit ihrem Mann, Jan, auf die Beine gestellt hat, ist genau für diese Altersgruppe gedacht: Eine Art Einstiegsdroge in die Welt des Jazz. "Das rätselhafte alte Haus", in das die Familie von Titus und Nora zieht, beherbergt ein Gespenst, Fridolin von Freigeist, genannt Frido. Frido hat ein Problem. Er muss in der Geisterschule ein Prüfung bestehen. Er muss jemanden zum Fürchten bringen. Aber etwas Gruseliges will dem lieben Frido  einfach nicht gelingen. Titus und Nora müssen helfen....Eine von Sonja Eschke liebevoll erzählte und gesungene Geschichte. Passgenau dazu die eingängigen Jazz-Arrangements komponiert von Ehemann und Keyboarder Jan Eschke, perfekt umgesetzt zusammen mit Johannes Ochsenbauer am Kontrabass und Sebastian Wolfgruber an den Drums. Nicht zu vergessen die tollen Sound- und Lichteffekte: Blitz und Donner, Kirchengebimmel und Pupskissen. Nichts fehlte. Alles war am richtigen Platz. Und dann war da tatsächlich auch noch der Geist Frido höchstpersönlich, versteckt hinter einer Leinwand und als Schattenspiel wunderschön in Szene gesetzt von Percussionist Boris Klöck. Geschichte gut, Show gut, Musik gut, alles gut. Frenetischer Jubel am Ende quer durch alle Altersgruppen. "Jazz für Kinder", ein gelungenes Experiment und eine hochpotente Einstiegsdroge ganz ohne Nebenwirkungen.

Japan ganz nah: Dr. Katja Cassing und ihr Cass-Verlag

Cass. Ein ungewöhnlicher Verlag mit einem besonderen Programm

 

Eine geradezu familiäre Wohnzimmeratmosphäre herrschte in der Lesbar, als Katja Cassing ihren Verlag präsentierte. Die promovierte Japanologin hatte ihren Mann, Dr. Jürgen Stalph, mitgebracht, ebenfalls Japanologe und Übersetzer des bekannten Erfolgsautors, Murakami Haruki . Beide lebten jahrelang in Japan, sprechen fließend Japanisch und verfügen über fundiertes Wissen über dieses ferne, uns fremde Land. Und das teilten sie gerne mit dem interessierten Publikum. Munter drauf los plaudernd erzählte Katja Cassing wie sie ihren Verlag gründete, wie liebevoll und hochwertig die Bücher gestaltet sind und dass bei max. 4 Neuerscheinungen pro Jahr mit einer Auflagenhöhe von jeweils 1500 Exemplaren sehr viel persönliches Engagement und wenig Profitdenken unabdingbar sind. "Wir sind nur zu zweit", ohne Brotjob ginge so etwas nicht. Dass sie für Japan und ihren Verlag brennt, war offensichtlich. Stolz stellte sie einige wunderschön aufgemachte Bücher des Cass-Verlags vor und machte Lust, sich mit Japan und Japanischer Literatur näher auseinanderzusetzen. Fragen aus dem Publikum wurden kompetent beantwortet, etwa zur (nicht vorhandenen) Sprachverwandtschaft von Chinesisch und Japanisch oder der unterschiedlichen Physiognomie von Japanern, Koreanern und Chinesen. "Fast unmöglich zu erkennen, wer aus welchem Land kommt. Uns erkennt man dagegen sofort. Wir Deutschen, sogenannte Langnasen, sind sehr beliebt in Japan. Das liegt daran, dass wir im 2. Weltkrieg auf derselben Seite standen." Verwunderung im Publikum, Japan ist halt doch ein fernes fremdes Land. Vielleicht müsste man mal hinfliegen. Sind ja nur 12 Stunden.

 

Krimizeit mit Elisabeth Herrmann

Ein kurzweiliger Abend für die Fangemeinde

 

Elisabeth Herrmann ist vielleicht die bekannteste Deutsche Krimiautorin. Sie wurde mit Preisen überhäuft, viele ihrer Romane wurden sehr erfolgreich für das Fernsehen verfilmt. Kein Wunder also, dass die meisten Zuhörer nicht nur ihre Bücher kannten, sondern auch die Fernsehfilme. Namen wie Jan Josef Liefers oder Anna Loos fielen, als die Autorin launig von ihren Filmprojekten erzählte. Zustimmendes Nicken und bestätigendes Raunen signalisierten allseits fundiertes TV-Insiderwissen. Elisabeth Herrmann ist eine Autorin, die es geschafft hat. Dabei waren ihre Anfänge als Schriftstellerin keineswegs leicht. Ihr allererstes Buch musste sie an 50 Verlage schicken, bis endlich ein kleiner Verlag anbiss und sie durch das Wunder der Mund-zu-Mund-Propaganda ihren ersten Erfolg landen konnte. 

Die Lesung startete sie mit dem Schlusskapitel aus "Zeugin der Toten", dem ersten von drei Romanen um die Tatortreinigerin, Judith Kepler, einer Textpassage mit Schüssen, einem platzenden Aquarium, zappelnden Fischen und viel Blut. Das volle Programm, ein Krimi eben. Weiter ging's mit einem Kapitel aus dem zweiten Teil der Trilogie, "Stimme der Toten". Ein eher sozialkritischer Krimi, in dem u.a. Wirtschaftskriminalität, Alkoholismus und Rechtsradikalismus thematisiert werden. "Der dritte Teil der Trilogie ist gerade im entstehen, im August soll er erscheinen", verriet die Autorin locker plaudernd im Anschluss. "Darin wird es um Waffenlieferungen in die Ukraine gehen". Grund genug für sie, nach Odessa zu reisen, um sich dort weitere Inspirationen aus erster Hand zu holen. Wie der Roman ausgeht weiß sie schon, aber noch nicht, wie die Geschichte sich dorthin entwickelt. Sie mag's halt spannend.