Hommage zum 75. Geburtstag von Peter Handke

Florian Appel, Franz Leander Klee und Wolfgang Mirlach begeistern im Weilheimer Stadttheater

Für Weilheimer Verhältnisse fast schon avantgardistisch mutete die Vorstellung der drei Musik- und Literaturfreunde an. Schon der  Titel, "Indem sie einander erzählen, öffnen sie einander", versprach Ungewöhnliches. Spärlich das Bühnenbild: ein Tisch, drei Stühle ein Klavier, ein altes Radio. Mehr gab es nicht zu sehen, nichts lenkte ab vom gesprochenen oder gesungenen Wort. Weitgehend statisch auch die Szenewechsel zwischen Lesepassagen aus Peter Handkes Werken und Schubert-Liedern, gesungen von Bariton Wolfgang Mirlach und am Klavier begleitet mal von Florian Appel, mal von Franz Leander Klee. Alle Darbietungen unaufgeregt und ruhig, mit vielen Spannung erzeugenden Pausen, in denen einfach nichts passierte und in denen das Gehörte nachwirken konnte. Viel Nachhall erzeugte das herzerfrischende Märchen von Lucy und ihrem Wald-verliebten Vater gelesen von Wolfgang Mirlach, und der abschließende Text aus "Über die Dörfer", eindringlich vorgetragen von Florian Appel. Schnell waren sie vorbei, die zwei Stunden, die in dieser Form wohl auch Peter Handke gefallen hätten.

 

Kinder, Pernilla, die Beatles, Äpfel und Silke Schlichtmann

Ein Tag für Kinder zur Woche unabhängiger Buchhandlungen

Silke Schlichtmann pur, einen ganzen Tag lang.

Früh morgens schon vor Ladenöffnung enterte die Klasse 3B der Ammerschule mit ihrer Lehrerin, Frau Roppelt-Kufner die Lesbar, um eine exklusive Lesung mit der beliebten Kinderbuchautorin zu erleben. Die hatte die Klasse 3B gewonnen, weil sie wusste, wer die Beatles waren. "Eine Musikgruppe" kam es gleich aus mehreren Ecken unserer vollbesetzten Kinderbuchabteilung. Silke Schlichtmann hatte alle Hände voll zu tun, die quirlige Klasse im Zaum zu halten. Souverän erzählte sie die Geschichte von Pernilla und ihrer Familie und warum die Beatles sie retteten. Da durften zwei Lieder der Beatles natürlich nicht fehlen. Begleitet von der Autorin  an der Gitarre versuchten sich die kleinen Zuhörer an "All you need is love", das Silke Schlichtmann zu "Besuch, Besuch, Besuch..." umgetextet hatte. Kein Problem für die Kids, obwohl sie die Melodie nicht kannten. Auch "Yellow Submarine" wurde eingedeutscht mit großem Eifer mitgesungen. Autogramme gab's zur Erinnerung an diese etwas andere und umso schönere Schulstunde, bevor sich die Klasse wieder auf den Rückweg machte.

Über die Mittagszeit verstärkte die Kinderbuchautorin das Lesbar-Team und beriet interessierte Kunden über ihre persönlichen Buch-Hits für Kids.

Am Nachmittag folgte dann noch eine weitere Vorstellung. Diesmal erfuhr das gemischte Publikum aus Kindern und Junggebliebenen, warum Pernilla nicht in den sauren Apfel beißen musste. Viel Applaus am Ende für Silke Schlichtmann und einen Apfel für jeden Zuhörer von der eigens mitgebrachten Apfelschälmaschine. Der war übrigens süß.

 

Heimatkunde und Zeitdokument in einem

"Erinnerungen" von Josephine Hartlmaier mit Dr. Walter Gronauer (Foto li.) und Christian Hörter (re.)

Am 8. November lud die Lesbar zu einem ungewöhnlichen Ausflug in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ein. Die 1957 verstorbene Wahl-Weilheimerin, Josephine Hartlmaier hat bis 1939 in 11 dicken Tagebüchern ihr bewegtes und bewegendes Leben im familiären und politischen Umfeld festgehalten. Heraus gekommen ist eine Zeit-Chronik aus erster Hand, die unmittelbare Einblicke in die damalige Lebensweise mit Schwerpunkt Weilheim gewährt. Dass die Tagebücher jetzt als gedrucktes Buch erschienen sind, ist das Verdienst des Enkels der Autorin, Walter Gronauer, der die in Sütterlin-Schrift verfassten Texte akribisch transkribiert und zusammen mit dem Leiter der Weilheimer Berta-Verlags, Christian Hörter redigiert hat. Erzählte Anekdoten und gelesene Passagen aus den Tagebüchern zogen die Zuhörer schnell in ihren Bann. Sie spiegelten das Bild einer starken Frau, die die Zeit zwischen den Weltkriegen vom Aufkeimen des Nationalsozialismus bis zum Kriegsausbruch mit großer Sorge beobachtete und  unerschrocken kommentierte. Ein überaus informativer Abend für das an der Weilheimer Stadtgeschichte interessierte Publikum. 

 

26. Oktober: Jonas Lüscher sorgt erneut für ein volles Haus

Literarisch hochkarätig und gleichzeitig unterhaltsam: "Kraft"

Zum 2. Mal für den Deutschen Buchpreis, zum 2. Mal für den Schweizer Buchpreis nominiert und zum 2. Mal hier bei uns in der Lesbar... Susanne Barnsteiner-Bosch stellte den gebürtigen Schweizer in der ausverkauften Lesbar mit Freude und Stolz vor. Jonas Lüscher, der erst am Vorabend erfuhr, dass er dieses Jahr den mit 6.000 Euro dotierten Tukan-Preis der Stadt München erhält, gehört mit seinen beiden Werken "Frühling der Barbaren" und "Kraft" zu den vielversprechendsten Deutsch-sprachigen Literaten. Und das bewies er eindrucksvoll bei seiner Lesung. Zwei Kapitel aus "Kraft" mit unglaublich  komplex konstruierten Schachtelsätzen, gespickt mit Ironie und Wortwitz brachten die Zuhörer immer wieder zum Lachen. Dabei ist die Geschichte des Tübinger Philosophie Professors und "Berufsschwallers", Kraft, eigentlich eher die eines Loosers. Nach zwei gescheiterten Ehen versucht Kraft sein Glück im Silicon Valley, wo er an einem philosophischen  Wettbewerb um die Theodizee-Frage teilnimmt. Er muss in einem 18-minütigen Vortrag begründen, "Warum alles gut ist, so wie es ist". Schließlich braucht er das Preisgeld von 1 Mio. USD, um seine Scheidung finanzieren zu können. Ob ihm das gelingt, hat Jonas Lüscher natürlich nicht verraten. Klar war jedoch nach fast eineinhalb Stunden literarischen und philosophischen Feuerwerks, dass zumindest an diesem Abend in der Lesbar alles gut war, so wie es war.

 

19. Okt.: Ada Dorian im Doppelpack

Ein Abend, zwei Romane: "Betrunkene Bäume" und "Schlick"

Angekündigt war Ada Dorian mit ihrem hochgelobten Roman "Betrunkene Bäume".

Ein Rätsel für sie sei, so die Autorin mit Wohnsitz Osnabrück, die Tatsache, dass die Verkaufszahlen des Romans im Süden Deutschlands sehr viel höher sind, als in Norddeutschland. Die zahlreichen Zuhörer konnten nur spekulieren: vielleicht liegt's ja an der Naturverbundenheit der Menschen hier in Bayern. Letztlich musste diese Frage ungeklärt bleiben. Die Frage nach dem Buchtitel  konnte Ada Dorian allerdings klären: in Sibirien kommt es zu dem Naturphänomen der "Betrunkenen Bäume", deren Wurzeln bei tauendem Permafrost ihren Halt verlieren, die deshalb kippen und dann verdreht weiterwachsen. Kein Wunder also, dass Entwurzelung das Leitthema des Romans und seiner Protagonisten ist. Zu jeder der drei Hauptfiguren, der jungen Ausreißerin Katharina,dem ehemaligen Wissenschaftler Erich und dem sibirischen Waldmenschen Wolodja las die Autorin ein kurzes spannendes Kapitel. So entstand eine atmosphärisch dichte Beziehungsgeschichte, die Lust auf mehr machte. Aber alles verraten wollte Ada Dorian dann doch nicht.

Vielmehr nutzte sie die Gelegenheit, ihrem Publikum auch noch ihren brandneuen Roman "Schlick" vorzustellen. Zwei Romane geschrieben innerhalb weniger Monate? Kein Problem für Ada Dorian. Sie arbeitet in einer Art "innerer Cloud", recherchiert gleichzeitig zu mehreren Geschichten und fängt erst dann an zu schreiben, wenn der Roman als Rohfassung im Kopf schon fertig ist.

Man darf gespannt sein, was Ada Dorians Wolke in Zukunft noch zu bieten hat.

 

29. Sept.: Markus Orths liest aus seinem Roman "Max"

Max Ernst und seine sechs Frauen

Es ging um Kunst, entartete Kunst, um Dadaismus und Surrealismus. Es ging um den ersten Weltkrieg und den zweiten Weltkrieg und die spannende Zeit dazwischen. Es ging um Leben und Überleben am Rande des Wahnsinns. Und es ging um 6 ungewöhnliche Frauen. Das alles hat Markus Orths in seiner eineinhalb stündigen Lesung perfekt in Szene gesetzt. Der Autor von "Max", stellte seine Roman-Biographie über den Maler Max Ernst vor, der zusammen mit seinen Frauen und Musen ein wahrhaft facettenreiches Leben als armer Künstler, Herzensbrecher, Geächteter, Flüchtling aber letztlich auch als Familienvater führte. Der geniale Wortwitz und die verrückten Ideen der Künstlergruppe um Max Ernst brachten die 50 Zuhörer in der voll besetzten Lesbar immer wieder zum Lachen. So z.B. Hans Arp's kurzes Gedicht über den Purzelbaum mit seinen Purzelästen, Purzelzweigen und Purzelwurzeln. Witzige Kalauer hier, tödlicher Ernst da. Markus Orths führte sein Publikum mit einer Mischung aus Lesung und Erzählung souverän über den schmalen Grad zwischen Dada nonsense und dem unbeschreiblichen Leiden in den beiden Weltkriegen. Ein Meisterleistung des sympathischen Autors, feinsinnig und klug, wie sein Roman. 

 

20. März 17: Deutsch für Fortgeschrittene mit Tomer Gardi

Wie sagt man auf Deutsch?"

Von Anfang an hatte Tomer Gardi sein Publikum in der Lesbar im Griff. Nach der Anfangsmoderation durch den Weilheimer Künstler Florian Appel gelang es Tomer Gardi mühelos die über 30 Zuschauer in der Lesbar zu begeistern und in seinen Vortrag einzubinden. Er las das Anfangskapitel aus seinem Roman "Broken German" und immer, wenn ihm scheinbar ein Wort fehlte und er fragte, "Wie sagt man auf Deutsch?", sprang das Publikum ein, suchte mit und half. So gestaltete sich der Abend zu einer äußerst entspannten Unterhaltung unter Freunden über alle Migrationsgrenzen und durchaus ernsten Zwischentöne hinweg. Es ging um "Volkerverständigung" und "Völkerverständigung". Ein junger Zuschauer trug spontan einen Witz über Migranten bei, schallendes Gelächter und ein tosender Applaus machte ihn zum Joker des Abends. Tomer Gardi war selbst überrascht und begeistert zugleich. Gelöste Stimmung allenthalben, nicht zuletzt wegen des überschäumenden Temperaments und der positiven und mitreißenden Art des Autors. "Perfekt", sagt man auf Deutsch!