Lesetipps für Erwachsene - Teil 1

Beatrice Salvioni, " Malnata"

Penguin-Verlag, 272 Seiten, 24 Euro

 

Im Mittelpunkt stehen die beiden Mädchen Francesca und Maddalena, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Francesca, zu Gehorsam und Konformität erzogen, ist fasziniert von Maddalena, von allen nur „Malnata“, die „schlecht Geborene“ und „Unheilbringende“ genannt. Ein Mädchen, deren Willen nicht zu brechen ist, das freiheitsliebend, trotzig, wild und ungestüm ist. Im heißen Sommer 1935 freunden sich die beiden an. In einer Zeit, in der soziale Ungerechtigkeit in allen Fugen des Lebens steckt, Männer sich nehmen, was sie wollen, Frauen und Mütter wegsehen, Aberglaube jede Vernunft verdrängt. Eine Zeit, in der sich die beiden Mädchen gegenseitig Halt und Stärke geben, um sich gegen die grausam radikal verändernde Welt der Erwachsenen zu stellen.

 

Absolut lesenswert!

 

Stefanie vor Schulte, „Das dünne Pferd“

Diogenes, 256 Seiten, 21,99 Euro

 

Was bleibt, als zu fliehen, wenn Kinder plötzlich allergisch auf Erwachsene reagieren, Eltern ihre Kinder vergessen, wenn Hunde ihre Herren anfallen und die Natur des Menschen überdrüssig ist? 

 

Pflegekraft Aria und Kollegin Marion retten fünfzehn Kinder aus der vom Untergang gezeichneten Stadt und versuchen die vielleicht letzten Wochen in einem ehemaligen Badehotel würdevoll zu bestehen. Doch den Bewohnern von Einstadt und den Cowboys rund um Imre Brandt sind sie ein Dorn im Auge. Als Aria ein Pferd am Strand entdeckt und darauf beharrt, es zu bergen, geht es plötzlich um alles. Die Feindseligkeit der Männer eskaliert, aber die Frauen finden Verbündete und geben nicht kampflos auf.

 

Ein hoffnungsvoll dystopischer Roman der preisgekrönten Erfolgsautorin von „Junge mit schwarzem Hahn“.

 

Rosa Liksom, „Über den Strom“

Penguin –Verlag, 304 Seiten, 24 Euro

 

Eine feinfühlige Geschichte über ein junges, unglaublich heldenhaftes Mädchen, eine Herde Kühe und ihre Flucht in die Sicherheit.

 

Lappland 1944: Nachdem die Truppen der deutschen Wehrmacht aus Finnland vertrieben wurden und dabei alles zerstörten, was auf ihrem Weg lag, müssen Zehntausende Menschen ihre Heimat verlassen. Mittendrin ein junges Mädchen, das auf dem heimischen Hof das Vieh hütet und dessen Familie durch den Krieg auseinandergerissen wurde. Gemeinsam mit den anderen Kindern des Dorfes treibt sie die Kühe in Richtung des großen Flusses, der Grenze zu Schweden, in die Sicherheit – stets voller Hoffnung, in einem der vielen Flüchtlingslager ihre Eltern wiederzufinden.

 

An manchen Stellen kaum auszuhalten, aber historisch korrekt ist diese meisterhafte Aufarbeitung eines dunklen Kapitels Deutscher und Nordischer Geschichte.

 

Iida Turpeinen, „Das Wesen des Lebens“

S. Fischer-Verlag, 320 Seiten, 24 Euro

 

Dieser unaufgeregt leise, großartige Roman widmet sich voll und ganz der Stellerschen Seekuh, die vom gleichnamigen Naturforscher während einer Expedition im 18. Jahrhundert durch die Bering-See beobachtet und beschrieben wurde. Inzwischen gilt sie als die erste nachweislich vom Menschen ausgerottete Art. Viele weitere sind seither gefolgt.

Die Autorin folgt den Spuren, die dieses wundersam sanfte, walähnliche Geschöpf in der Literatur und in Form von Knochenfunden hinterlassen hat. Dabei trifft sie 100 Jahre später auf den Gouverneur von Alaska und seine unglückliche Ehefrau und Mitte des 20. Jahrhunderts auf eine Präparatorin an einem Museum in Helsinki. Sie alle haben einen großen Teil ihres Lebens der Stellerschen Seekuh gewidmet. Sie geben Zeugnis, wie wir Menschen vom unbedingten Begehren nach Erkenntnis angetrieben werden – und wie wir dafür die unwiderrufliche Zerstörung der Natur in Kauf nehmen. 

 

Olga Grjasnowa, „Juli August September“

Hanser-Verlag Berlin, 224 Seiten, 24 Euro

 

Juli in Berlin - August auf Gran Canaria - September auf glühend heißem Boden in Israel...

 

Lou ist mit einem auf der ganzen Welt konzertierenden Pianisten verheiratet. Gemeinsam haben sie eine Tochter, sind jüdische Russen (der Religion wird allerdings nicht viel Platz eingeräumt), die in Berlin leben und sie tragen jeweils die Trauer über eine Fehlgeburt allein mit sich herum. Als sich Lou’s Großfamilie, die in Israel lebt, zu einem Familientreffen auf Gran Canaria verabredet, ist das die Gelegenheit für die Protagonistin ihrem Berliner Alltag zu entfliehen. Doch dort holt sie die Vergangenheit ein und nachdem ihr die Familienmitglieder kein wirklich schlüssiges Bild ihrer vor Jahren verstorbenen Großmutter geben können, reist sie kurzerhand noch weiter nach Israel um Antworten auf ihre Fragen zu erzwingen. Doch sie muss erleben, dass all die familiären Verstrickungen keine einfache Erklärung zulassen. Mit einem Flickenteppich von Erlebnissen und Eindrücken reist sie zurück in ihr gegenwärtiges Berliner Leben.

 

Eine rasant erzählte, anregende Geschichte über eine der vielen Familien, die es nicht miteinander aber auch nicht ohne können.

 

Reinhard Kaiser-Mühlecker, „Brennende Felder“

S. Fischer-Verlag , 368 Seiten, 25 Euro

 

Nominiert für den Österreichischen Buchpreis.

 

Als junge Frau drängte es Luisa raus aus der Provinz in die weite Welt, doch jetzt, Jahre später, als Mutter von zwei Kindern, die fernab von ihr bei den Vätern aufwachsen und zu denen sie auch den Kontakt nur sporadisch sucht, lässt sie sich wieder nieder in der Provinz. Sie will Schriftstellerin werden und sucht hier auf dem Land Ruhe, aber auch Inspiration. Nachdem ihr Stiefvater, mit dem sie zuletzt eine Beziehung geführt hat, unter etwas mysteriösen Umständen umgekommen ist, schlüpft sie bei einem älteren Gutsherrn unter. Aber wer ist eigentlich Luisa? Was will sie? Was treibt sie an? Luisa erzählt ihre Version der Geschichte. Es bleibt vieles im Unklaren, im Vagen, nicht greifbar - und genau das ist das Fesselnde, das Faszinierende. Der Leser möchte hinter die Fassade der geheimnisvollen Luisa schauen. Aber gibt es da überhaupt etwas zu sehen….

 

Wenn auch als dritter Teil einer Trilogie angelegt, kann dieser Band unabhängig von den Vorgängern gelesen werden.

 

Jane Campbell, „Bei aller Liebe“

Kjona-Verlag, 240 Seiten, 24 Euro

 

„Ich fürchte, ich fülle die Lücken mit Erfundenem.“

 

Agnes hat sehr früh beide Eltern bei einem Autounfall verloren, so dass ihre Erinnerungen an diese sehr nebulös sind und sie immer wieder nur als zarter Hauch streifen. Ihr Onkel, der Bruder ihrer Mutter, überfordert von seiner eigenen Trauer, behält ein Art Lebensvermächtnis seiner Schwester - ihren letzten Brief, den er eigentlich weitergeben sollte an den Empfänger - bei sich. Er übergibt diesen Brief Agnes erst Jahrzehnte später, am Hochzeitstag ihrer Tochter. Somit werden Agnes Lebenskarten neu gemischt (und nicht nur ihre!), was die ganze Situation nicht einfacher macht. 

 

Ein höchst emotionaler und lebenskluger Roman!

 

Mirrianne Mahn, „Issa“

Rowohlt, 304 Seiten, 24 Euro

Starker Debütroman!

Issa ist schwanger und reist auf Geheiß ihrer Mutter, die um das Leben ihrer Tochter bei der bevorstehenden Geburt fürchtet, nach Douala. Hier im Kreis der Familie, umgeben von Urgroßmutter und Großmutter, soll sie den heilsamen Weg der Rituale gehen. Schwierig nur, wenn man in Frankfurt zu schwarz und dort zu Deutsch ist.

Die Autorin verwebt Issas Leben mit den Schicksalen von 4 Frauen, deren Leben mehr als ein Jahrhundert auseinanderliegen, sehr kunstvoll. Sie erzählt Geschichten von kolonialer Ausbeutung und ein Streben nach Selbstbestimmtheit kraftvoll und empathisch.

 

Terhi Kokkonen, „Arctic Mirage“

Hanser Verlag, 192 Seiten, 23 Euro

Drahtseilakt eines Paares vor der winterlichen Traumkulisse Lapplands.

Karo und Risto, gut situiert und wohlhabend verbringen ein paar Tage Urlaub in Lappland. Die Rückfahrt zum Flughafen wird jäh durch einen Unfall unterbrochen, der sie zwingt, doch ein paar Nächte länger in der Region zu bleiben. Im Luxusressort „Arctic Mirage“ finden sie Unterkunft, um sich auszukurieren. Während sich Risto schön um sich selbst kümmert und mit den Angestellten flirtet, wird Karo immer unruhiger und erscheint seltsamer. Als immer mehr Ungereimtheiten wie verschwindende Kleidungstücke und auch bruchstückhaft andere Erinnerungen an den Unfall in ihrer Wahrnehmung auftauchen als bei Risto, eskaliert die Situation und das Drama nimmt seinen Lauf.

Cool inszeniert die finnische Autorin in dieser „Traum“ -Kulisse das Drama einer Ehe.

 

Camilla Townsend, „Fünfte Sonne“

- Eine neue Geschichte der Azteken -

C.H. Beck, 412 Seiten, 32 Euro

Es gibt viele Erzählungen über die Eroberung der „Neuen Welt“, fast immer verfasst von schreibkundigen Spaniern, fast immer einseitig geschönt. Die Fakten: 1519 landete Hernando Cortés vor der Küste Mexikos und machte sich auf den Weg zur sagenumwobenen Hauptstadt der Azteken, Tenochtitlan. Dort trafen die spanischen Eroberer auf eine hervorragend organisierte und hochentwickelte Kultur. Und dort trafen sie auch erstmals auf den von den Einwohnern vergötterten Herrscher Moctezuma. 

 

Camilla Townsend schafft mit ihrem preisgekrönten Sachbuch den Perspektive-Wechsel. 

Sie schildert dieses Aufeinandertreffen und die folgende Zeit der konsequenten Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung dieser Hochkultur aus Sicht der Azteken, die sich selbst Mexica nannten und korrigiert damit jahrhundertealte europäische Stereotype.

 

Sehr gut lesbare und verständliche historische Lektüre.

 

Dan Jones, „Essex Dogs“

C.H.Beck-Verlag, 471 Seiten, 26 Euro

 Man schreibt das Jahr 1346, der Beginn des Hundertjährigen Kriegs zwischen England und Frankreich. 10 kampferprobte Söldner aus Essex, eine eingeschworene Truppe, landen als Vorhut der Armee des englischen Königs an der Küste der Normandie. Die Schlacht beginnt. 

Aus Sicht des Truppenführers Loveday schildert der Autor sehr detailliert und in Nahaufnahme das Leben und Sterben der Krieger auf ihrem mehrwöchigen mühsamen Weg durch Nordfrankreich. Belagern, Erobern, Brandschatzen, Vergewaltigen, Töten…Dan Jones schafft es, den Leser hautnah teilnehmen zu lassen am brutalen Geschäft des Krieges. 

 

„Essex Dogs“ ist ein auf historischen Fakten beruhender, sehr spannender und kurzweiliger, aber auch blutiger Abenteuerroman für Fans von großem Kino.

 

Daniel Mason, „Oben in den Wäldern“

C.H. Beck, 429 Seiten, 26 Euro

 

Vielschichtig und wunderschön: der neue Roman des PulitzerPreis-Finalisten und Autors von "Der Wintersoldat".

 

„Wer hat hier, wo ich wohne, schon einmal ein Leben geführt – und wer wird diesen Ort nach mir sein Zuhause nennen?“

Daniel Mason erzählt in seinem neuen Roman die bewegte Geschichte eines Hauses in den Wäldern von Massachusetts. Und mit ihr von den Schicksalen, Geheimnissen und Abgründen der Menschen, die das Haus über die Jahre bewohnen. Von einem Soldaten, der nach einer Verwundung nicht auf die Schlachtfelder zurückkehrt, sondern beschließt, sich in der Abgeschiedenheit dem Apfelanbau zu widmen. Von seinen Töchtern, Zwillingen, deren symbiotisches Leben mit dem Erwachsenwerden zunehmend Risse bekommt – und jäh in einer Tragödie endet. Von einem Reporter, der auf ein uraltes Massengrab stößt, und einem liebeskranken Maler, der einem geheimen und riskanten Verlangen nachgeht.

 

„Oben in den Wäldern“ handelt vom Wandel der Zeit, der Sprache, der Natur, und zeigt, wie stark wir durch sie auch über Jahrhunderte miteinander verbunden bleiben. 

 

Percival Everett, „James“

Hanser Verlag, 334 Seiten, 26 Euro

Auf Grundlage von Mark Twains Klassiker um Huckleberry Finn erzählt Percival Everett die dunkle Geschichte der Sklaverei aus Sicht des schwarzhäutigen Sklaven Jim. 

Jim ist intelligent und gebildet, er kann schreiben und lesen. Das muss er aber verheimlichen, um nicht brutal bestraft zu werden, denn Sklaven werden als Tiere gesehen und haben dumm zu sein. Jim versucht, die unmenschlichen Sklavenregeln einzuhalten, redet mit Weißen ausschließlich wenn er angesprochen wird und auch dann nur in der dümmlichen „Sklavensprache“. Die Angst vor der Peitsche oder dem Strick ist allgegenwärtig in diesem fesselnden Geschichtsdrama, das der US-amerikanischen Gesellschaft gnadenlos den Spiegel vorhält. Zusammen mit seinem weißen Freund Huck gerät Sklave Jim auf seiner Flucht in immer größere Schwierigkeiten und erleidet unmenschliche Qualen bis er endlich zu James wird.

Ein großartiger Roman mit einem versöhnlichen Ausgang, ein Meisterwerk des vielfach preisgekrönten Autors Percival Everett.

 

Lana Lux, „Geordnete Verhältnisse“

Hanser-Verlag, 288 Seiten, 23 Euro

Ein Beziehungsdrama der besonderen Art. Sprachlich ausgefeilt, dramaturgisch exzellent aufgebaut und hochspannend.

 

Faina und Philipp kennen sich schon ewig. Wegen ihrer auffallend roten Haare haben sie sich in der Schule angefreundet. Beide verbindet aber nicht nur die Haarfarbe sondern auch ihre schwierigen Familienverhältnisse. Philipp ist Einzelgänger, er neigt zu Wutausbrüchen. In Fainas Nähe kommt er zur Ruhe. Beide wissen, dass sie füreinander bestimmt sind. Dennoch verlieren sie sich irgendwann aus den Augen, aber die enge Verbindung bleibt. Als junge Erwachsene treffen sie sich wieder. Philipp ist jetzt vermögend, Faina ist mittellos und schwanger. Sie zieht bei ihm ein und ihre Beziehung beginnt allmählich toxisch zu werden. 

 

Lana Lux lässt sowohl Philipp als auch Faina Raum, Ihre jeweilige Sicht der Dinge zu schildern und schafft damit raffinierte Perspektive-Wechsel auf eine obsessive Liebe.

 

Jarka Kubsova, "Marschlande"

Verlag S. Fischer, 320 Seiten, 24 Euro

 

Die Lebensgeschichte zweier Frauen: die eine endete als Hexe auf dem Scheiterhaufen, die andere versucht in der heutigen Zeit ihren eigenen, selbst bestimmten Weg zu gehen.

 

Um 1580 führte Abelke Bleken - das ist historisch verbürgt - als alleinstehende Frau im Hamburger Marschlande einen Hof am Deich. Nicht nur wir Leser erfahren nach und nach von dem mühsamen und entbehrungsreichen Leben zur damaligen Zeit, sondern auch Britta, die sich eben mit ihrer Familie den Traum vom eigenen Haus auf dem Land erfüllt hat. Doch der Traum entwickelt sich für Britta eher zum Alptraum, aus dem sie versucht zu entfliehen, indem sie die Geschehnisse um Abelke recherchiert. Es entsteht eine Verbundenheit zu dieser starken, unabhängigen Bauersfrau. 

 

Kunstvoll verwebt die Autorin auch in ihrem neuen Roman wieder die Lebensgeschichten zweier Frauen, die in total verschiedenen Welten lebten und leben, aber zwischen denen doch auch immer wieder Parallelen auftauchen. 

 

Wilfried Meichtry, "Nach oben sinken"

Verlag Nagel und Kimche, 257 Seiten, 22 Euro

 

Ein neugieriges Kind stellt in den 70er/80er Jahren im Wallis zu viele Fragen.

 

Enge Familienverhältnisse in einer katholischen, autoritären Dorfwelt im Wallis zwingen den Ich-Erzähler, einen neugierigen aufgeweckten Jungen, Antworten auf seine kleinen und großen Lebensfragen in der Literatur zu suchen. Hilfreich ist dabei die Großmutter, die - im Gegensatz zu all den anderen stummen Erwachsenen - eine große Erzählerin ist. Zufällig stößt der Junge auf einen totgeschwiegenen Großonkel, der sich - wie er - zum Sonderling entwickelte und ebenso die Erwartungen der Familie nicht erfüllte. Wer war dieser Onkel? Mit großer Fabulierlust und Humor erzählt uns der Schweizer Autor die Geschichte eines Jungen, der aus seiner schweigsamen, angepassten Großfamilie ausbricht.

 

Sylvie Schenk, "Maman"

Hanser-Verlag, 176 Seiten, 22 Euro 


Eine familiäre Spurensuche - berührend und intensiv

 

Wieder einmal begibt sich Sylvie Schenk auf die Spurensuche in ihrer Familie. Diesmal geht es um ihre Mutter, die 1916 geboren wurde: deren Mutter bei der Geburt verstorben, Vater unbekannt. So wird „Maman“ als Waise ausgenutzt und herumgeschoben, heiratet später (weil es sich so ergibt) Sylvie Schenks Vater und bekommt Kinder. Aber wer ist diese emotional kalte Frau? „Unsere Mutter, die sprach nur mit der Wäsche und mit Babys.“

 

Sehr behutsam versucht die Autorin anhand von Erinnerungen und Recherchen der Herkunft der Mutter nachzuspüren. Es entsteht das Porträt einer Frau, deren Schicksal es von Anfang an mit ihr nicht gut meinte, und der auch die Gesellschaft riesige Steine in den Weg legte. 

 

Ursel Bäumer, "Louise"

Verlag Nagel & Kimche, 224 Seiten 24 Euro

 

Die Kindheit der großen französischen Künstlerin Louise Bourgeois

 

„Der schöpferische Impuls für all meine Arbeiten… ist in meiner Kindheit zu suchen.“

 

Und diese Kindheit und Jugend beschreibt die Autorin in all ihren schillernden Facetten.

 

Louise ist von klein auf in der Werkstatt ihrer Eltern umgeben von Tapisserien und darf schon sehr früh in diesem Umfeld künstlerisch tätig sein. Doch dann erkrankt ihre Mutter schwer, sie ist rund um die Uhr mit der Pflege beschäftigt und ihrem tyrannischen Vater ausgeliefert, der sie in keinerlei Hinsicht unterstützt. Nach jahrelangen Kämpfen entscheidet sie sich doch für ein Leben mit der Kunst.

 

Ursel Bäumer beschreibt diesen Entwicklungsprozess aus der sehr intensiven Ich-Perspektive und in poetischer Sprache. Es entsteht das Bild einer starken Frau und ermöglicht neue Zugänge zu deren Kunst. Absolut lesenswert. 

 

Yves Ravey, "Taormina"

Verlag liebeskind, 112 Seiten, 20 Euro

  

Wow! Unglaublich dünnes Büchlein - unglaublich dichte Erzählung

 

Melville und Luisa wollen mit ein paar unbeschwerten Urlaubstagen auf Sizilien versuchen, ihre Eheprobleme in Griff zu bekommen. Aber gleich nach der Ankunft baut Melville einen verhängnisvollen Unfall mit dem Mietwagen und der Urlaub entwickelt sich immer mehr zum Alptraum...

 

Dieses Geschichte entwickelt von der ersten bis zur letzten Seite einen unglaublichen Spannungsbogen, der sich zu einem völlig unerwarteten Ende verdichtet. Meisterlich! 

 

Herbert Clyde Lewis, "Gentleman über Bord"

mare-Verlag, 176 Seiten, 28 Euro 

 

Der Klassiker von 1937 in Neuauflage.

 

Henry Standish fällt auf der Reise von Alaska zum Panamakanal von Bord des Frachters Arabella. Er treibt im Pazifik und hofft ein Umkehren des Schiffes, das sich jedoch unbeirrt immer weiter Richtung Horizont entfernt. Standish ist ein guter Schwimmer und Optimist. Er hat in den folgenden Stunden viel Zeit, sich mit seinem Leben auseinanderzusetzen...

 

Ein lohnenswerte Wiederentdeckung die zeigt, welche grandiosen Schätze die Literatur abseits von Neuerscheinungen zu bieten hat. 

 

Min Jin Lee, „Ein einfaches Leben“

dtv, 550 Seiten, 14 Euro

 

Eine opulent erzählte, mehrere Generationen umspannende Familiengeschichte. 

Zwischen Korea und Japan angesiedelt erzählt Min Jin Lee leicht von Sunya, die Anfang des 19. Jahrhunderts beim falschen Mann schwach wird. Als sie erfährt, dass er bereits eine Familie in Japan hat, heiratet sie einen koreanischen Pfarrer, um ihrer Familie keine Schande zu bereiten. Mit ihm zieht sie nach Japan und lässt Korea hinter sich. Allerdings sind die Bedingungen für Koreaner in Japan selbst Generationen nach dem Krieg schwierig… 

Wunderschöne Erzählung mit viel Mitgefühl über die Suche nach Identität.  

 

Jane Campbell, „Kleine Kratzer“

Kjona Verlag, 190 Seiten, 23 Euro

 

So ein cooles Debüt! 

 

Die knapp über 80jährige Psychoanalytikerin Jane Campbell erzählt von Frauen, die sich nicht aufs Abstellgleis schieben lassen wollen, die Sehnsüchte haben und hungrig aufs Leben sind. Unkonventionell erzählt sie in kleinen Geschichten von diesen Frauen, berührend und mit einer gehörigen Prise Witz und britischem Humor. Sehr lesenswert!

 

Erschienen im noch recht jungen Kjona Verlag, der seine Bücher rückstandsfrei herstellt. 

 

Patrick Svensson, „Die Chronistin der Meere“

Hanser Verlag, 256 Seiten, 24 Euro

 

Nach seinem Bestseller „Das Evangelium der Aale“ nimmt uns Patrick Svensson in seinem neuen Buch erneut mit in die Tiefen der Ozeane. In eine Welt, die bis heute größtenteils noch völlig unerforscht ist.

 

Der Autor begibt sich auf die Spuren berühmter, aber auch weniger berühmter Seefahrer von Magellan bis Heyerdahl, und stellt sich der Frage, was sie zu ihren abenteuerlichen Expeditionen angetrieben hat. Er erzählt von Neugier, Navigation und Kartographie, dem geheimnisvollen Rhythmus der Gezeiten und lauscht den Lauten der Pottwale. So schafft er beim Leser ein Verständnis dafür, warum unser Planet zurecht der „blaue Planet“ heißt.

 

Eine sehr lohnenswerte Lektüre, nicht zuletzt, weil Patrick Svensson mit Hilfe seines empathischen und unaufgeregten Erzählstils persönliche, fast schon intime Einblicke in sein eigenes Leben gibt.

 

Clemens J. Setz, „ Monde vor der Landung“

Suhrkamp Verlag, 528 Seiten, 26 Euro

 

Eine quere Geschichte, die viele lieben und manche hassen werden.

 

In seinem Roman widmet sich Clemens J. Setz der Person von Peter Bender, einem Anhänger der sog. Hohlwelttheorie, die besagt, dass die Menschen eigentlich innerhalb der Erdkugel leben und es gar keinen Himmel, sondern nur die Illusion dessen gibt.

Peter Bender hat Anfang des 20. Jahrhunderts in Worms gelebt und seine seltsamen Ideen in zahlreichen Schriften und auf Kongressen vertreten. 

Dennoch ist „Monde vor der Landung“ mehr als eine historische Aufarbeitung eines Lebens am Rande der Gesellschaft. Auf geradezu zärtliche Weise beschreibt der Autor die Gefühlswelt seines Protagonisten, seine diversen (Kriegs)-Verletzungen und Niederlagen und seine trotz aller Widrigkeiten ungebrochene Zuversicht in die Richtigkeit seiner wahnhaften Vorstellungswelt. Und er beschreibt sein unerschütterliches Verhältnis zu seiner jüdischen Ehefrau bis zur Ermordung im KZ kurz vor Ende des 2. Weltkrieges.

 

Alba Donati, „Ein Garten voller Bücher“

Berlin Verlag, 270 Seiten, 22 Euro

 

„Romano, ich möchte in meinem Heimatort eine Buchhandlung aufmachen.“…… „Gut, wie viele Einwohner hat er?“……„Hundertachtzig.“…….„Du spinnst!“

 

Und damit beginnt ein toskanisches „Bücher“- Märchen (trotz Pandemie), das wir hier ein halbes Jahr lang begleiten dürfen. Und das Beste: Diese kleine Buchhandlung gibt es wirklich! 

 

Vielleicht ein Reisetipp, recycelbar herstellt. 

 

Caroline Wahl, "22 Bahnen"

Verlag Dumont, 208 Seiten, 22 Euro                                               

Tilda liebte schon immer Zahlen - daher nicht überraschend, dass sie inzwischen Mathe studiert und dass sie, wenn sie eine Auszeit braucht, im Schwimmbad genau 22 Bahnen schwimmt. Das beruhigt sie und lenkt sie ab von den Problemen daheim. Mit ihrer kleinen Schwester Ida und ihrer alkoholkranken Mutter wohnt sie in dem traurigsten Haus der Fröhlichstrasse. Neben dem Studium verdient sie Geld, kümmert sich liebevoll um Ida und schaut, dass das labile Familienkonstrukt nicht endgültig zusammenbricht. Eines Tages taucht Viktor auf, und Tilda spürt, dass es für sie auch noch eine andere Zukunft geben kann.

Tilda erzählt uns in ihrem ganz eigenen Sprachsound  - kurze und knappe Sätze, straff organisiert wie ihr ganzes Dasein - von ihrem Alltag, ihren Ängsten und Wünschen. Immer wieder sind Dialoge eingestreut, Dialoge, die fast stumm wirken und doch das Wichtigste sagen.

Ein mitreißendes Debüt!

 

Manuel Butt, "Zierfische in Händen von Idioten"

Kein & Aber, 348 Seiten, 24 Euro                                                  

Welch ein großes Lesevergnügen!

 

Sommer 1996, Tobi hat große Plänen für die zwei Ferienwochen, in denen seine Eltern ihren Urlaub weitab von der schleswig-holsteinischen Provinz verbringen.  

Das wichtigste ist Lisa - wenn da nicht die Führerscheinprüfung, der große Bruder von Lisa (dem man besser aus dem Weg geht), der immer für Chaos sorgende Freund Scholzen, der nervige, beste Freund von Lisa (Georg) und nicht zu vergessen die Seepferdchen, die ihm der Vater besonders ans Herz gelegt hat, wären… Plötzlich geraten die Pläne aus den Fugen und Tobi befindet sich auf der Flucht vor der Polizei. 

 

Ein rasant erzähltes Roadmovie über vier Jugendliche, die eigentlich nur die besten Absichten haben!

 

James Kestrel, "Fünf Winter"

Suhrkamp Verlag, 470 Seiten, 20 Euro                

 

Süffig zu lesendes Thrillerepos!

 

1941 in Honolulu soll McGrady den bestialischen Mord an einem jungen Pärchen aufklären. Relativ schnell wird die politische Sprengkraft dieses Falles klar und als der Detektiv einer Spur nach Hongkong folgt, wird er dort von den Kriegsereignissen überrollt. Fünf Winter später kehrt er zurück und ermittelt weiter…

 

Zu Recht hat dieser Thriller 2022 den Edgar-Award gewonnen, den bedeutendsten Preis für Kriminalliterarische Werke in den USA! 

 

Joachim B. Schmidt, "In Küstennähe"

Diognes Verlag, 336 Seiten, 14 Euro                          

 

Der gebürtige Schweizer mit Wohnsitz Island hatte mit "Tell" und "Kalmann" bereits internationale Erfolge.

 

Es ist die Geschichte eines Jungen und eines Alten, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Letzterer, Grimur, verbringt seine letzten Tage in einem Pflegeheim im äußersten Nordwesten Islands. Ersterer, Larus, arbeitet proforma im Pflegeheim als Hausmeistergehilfe. Hauptamtlich ist er Drogendealer für die ganze Region Nordwest. Larus ist fasziniert von der Geschichte des Alten, der von allen als "Der Schlächter" bezeichnet wird, weil er angeblich seine Schwester umgebracht hat. Larus will unbedingt die Wahrheit erfahren, bevor es zu spät ist... 

 

Ein ungewöhnlicher Roman über eine ungewöhnliche Freundschaft. Spritzig, witzig, traurig und ernst. Beste Unterhaltung und schön zu lesen.  

 

Andrea Maria Schenkel, "Der Erdspiegel"

Kampa Verlag, 192 Seiten, 22 Euro                          

 

Spannender Lesestoff für alle Krimifans!

 

 

Anfang des 19. Jahrhunderts treibt ein Serienmörder in der Nähe von Regensburg sein Unwesen. Der Bichel hat einen magischen Erdspiegel, mit dem man einen Blick in die Zukunft werfen kann. Das jedenfalls sagt der Bichel. Er übt damit einen besonderen Reiz auf die jungen Frauen im Dorf aus, die zu gerne wüssten, was das Leben für sie bereit hält... Soviel sei schon mal verraten: es ist nicht viel und es ist nicht schön.

 

Die Autorin rekonstruiert minutiös die überlieferten Aufzeichnungen, Artikel und Gerichtsprotokolle zu diesem historischen Kriminalfall. Fakten und Fiktion sind meisterhaft miteinander verknüpft.

 

Victor Jestin, "Der Tanzende"

Kein & Aber, 208 Seiten, 23 Euro               

 

„Man ist nie allein, wenn man mit jemanden tanzt.“

 

Arthur, ein sowohl vom Wesen als auch von Aussehen her unscheinbarer junger Mann, ist auf der Suche nach einem Ort, an dem er das Gefühl hat, der Mensch sein zu können, der er ist. Er findet diesen Ort und taucht dort jahrzehntelang jede Nacht ab: der Club La Plage.

Atmosphärisch dicht erzählt, tauchen wir mit Arthur immer wieder in die Clubnächte ab, wir fühlen uns glücklich, wenn wir die Tanzfläche betreten und können auch ohne große Trauer all die Menschen wieder vergessen, die kurzzeitig im Lichtkegel auftauchen um dann wieder im anonymen Dunkel zu verschwinden. Arthur, ein einsamer Held, dem wir Leser sehr nah kommen können.

 

Giuliano da Empoli, "Der Magier im Kreml"

C.H.Beck Verlag, 265 Seiten, 25 Euro                          

 

Hochaktuelle und erschreckend realistische Mischung aus Fakten und Fiktion.

 

Vadim Baranow hat Zugang zum Innersten der ansonsten so verschlossenen Welt des Kreml - und damit zu Wladimir Putin. Der Roman beschreibt aus Sicht Baranows den Aufstieg Putins vom Spion zum neuen Zaren, der das größte Land der Welt mit unnachgiebiger Härte und eiskalter Hand regiert.

Durch historische Rückblicke und Vergleiche mit früheren Herrschern und Einsichten in die russische Seele entwickelt der Autor ein beängstigendes und gleichzeitig faszinierendes Drehbuch über Macht und Machterhalt.

 

Das Buch der Stunde, ein exzellenter Page Turner.

 

Milena Michio Flašar, „Oben Erde, unten Himmel“

Wagenbach Verlag, 304 Seiten, 26 Euro                          

 

Warmherziger Roman über die „letzten Dinge“

 

Eine junge Frau, gestrandet in einer japanischen Großstadt, erzählt von ihrem unauffälligen Leben: keine großen Emotionen, keine großen Erwartungen. Ein Hamster ist ihr Lebensbegleiter, aber auch diese Beziehung spielt sich auf Distanz ab. Schließlich ist ein Hamster nachtaktiv.

Als Suzu ihren Job als Bedienung wegen „mangelndem Liebreiz“ verliert, zieht sie die Konsequenzen und nimmt eine Stelle als Reinigungskraft an. Da wird wenigstens keine soziale Kompetenz verlangt. Doch sie irrt sich gewaltig! Als Leichenfundortreinigerin ist menschliches Mitgefühl gefordert. Angeleitet von dem Menschenkenner und emphatischen Firmenchef, Herrn Sakai, lernt sie mit den Toten das Leben lieben.

 

Äußerst warmherzig erzählt Flašar von einem liebenswerten Trupp, der die letzten Dinge regelt und damit dem Leben ziemlich nahe kommt. Welch ein Lesevergnügen!

 

Percival Everett, „Die Bäume“

Hanser Verlag, 328 Seiten, 26,- Euro

Blutige schwarze Komödie oder gruseliger Thriller?

 

In der amerikanischen Kleinstadt Money häufen sich die Morde. Immer trifft es dickbäuchige Rednecks, offensichtlich ermordet von einem Schwarzen, der allerdings ebenfalls tot ist. Und dessen Leiche zu allem Überfluss auch noch regelmäßig verschwindet, um beim nächsten Mord wieder aufzutauchen. Ein mordender Geist? Zwei schwarze Detektive ermitteln in Money. Aber dann werden ähnliche Fälle aus anderen Regionen der USA gemeldet…

 

Deftige, dem Milieu angepasste Sprache, wahnwitzige Assoziationen. Der Roman stand zurecht auf der Shortlist für den amerikanischen Booker Preis 2022.

 

Malachy Tallack, „60º Nord

btb Verlag, 288 Seiten, 18,- Euro

 

Dieses Buch macht Lust auf Reisen, auf eine unaufgeregte und philosophische Art.

 

Entlang des 60sten Breitengrades begibt sich der Autor auf eine Reise um die Welt. Startpunkt ist sein selbst gewähltes Zuhause, die Inselgruppe Shetland im Norden Großbritanniens. Über die Südspitze Grönlands, einer abgelegenen Ortschaft in Kanada und dem südlichsten Zipfel Alaskas reist Tallack weiter westwärts nach Sibirien, Sankt Petersburg und über Skandinavien schließlich wieder zurück in seine Heimat Shetland. Unterwegs kommt es zu interessanten Begegnungen mit den Menschen vor Ort. Seine Gespräche und Eindrücke verarbeitet der Autor in klugen Reflexionen über seine Faszination für den Norden und die raue Natur dort. Dabei stellt sich Tallack immer wieder die Frage, was ein Zuhause bzw.Heimat ausmacht. 

 

Ein feines, wunderbar kluges, sehr ruhiges Buch.

 

Walter Tevis, Der Mann, der vom Himmel fiel

Diogenes Verlag, 272 Seiten, 23.- Euro

 

Neuauflage mit Neuübersetzung des 1963 erstmals erschienenen Romans, der Ende der 60er mit David Bowie in der Hauptrolle verfilmt wurde.

 

Eines Tages erscheint ein hochgewachsener, spindeldürrer Mann mit langem weißen Haar bei dem Patentanwalt Farnsworth. Er nennt sich Thomas J. Newton und ist im Besitz von Patenten für eine Reihe von revolutionären technologischen Innovationen. Zusammen mit Farnsworth errichtet er ein verzweigtes Firmenimperium, das die beiden steinreich macht.

Für die technische Umsetzung heuern sie den genialen aber frustrierten Chemiker Bryce an. Der hat bald Zweifel, ob der geheimnisvolle Newton überhaupt ein Mensch ist, oder doch eher Marsianer....

 

Eine ausgesprochen gelungene und amüsante Wiederentdeckung. Gute Unterhaltung garantiert. 

 

Olli Jalonen, „Die Himmelskugel“

Unionsverlag, 544 Seiten, 16,- Euro

 

Eine meisterhaft raffinierte Mischung aus Abenteuer-, Wissenschafts- und Historienroman.

Ende des 17. Jahrhunderts auf der abgelegenen Karibikinsel St. Helena. Dort, am Ende der Welt, zählt der kleine Angus Vögel und Sterne für den großen Naturforscher Edmond Halley. Gott, der König und Herr Halley bestimmen sein Leben. Er ist lernbegierig und träumt davon, selbst ein großer Forscher zu werden. Als sich die politischen Verhältnisse vor Ort drastisch verschlechtern, schickt seine Mutter den 12jährigen mit dem Schiff nach London in die Obhut Halleys. Nach abenteuerlicher und qualvoller Reise gelangt er schließlich zu Herrn Halley und wird dessen Gehilfe…

 

Der prachtvoll erzählte Roman schildert die oft grausame Welt der Erwachsenen durch die kindlichen Augen von Angus. Einem Jungen, der mit unerschütterlichem Glauben an das Gute gesegnet ist. Einem Jungen, den man einfach lieben muss.    

 

Eeva-Liisa Manner, „Das Mädchen auf der Himmelsbrücke“

Guggolz-Verlag, 154 Seiten, 22,- Euro

 

Wieder einmal hebt der Guggolz-Verlag einen literarischen Schatz, und zwar den ersten Roman der finnischen Autorin Eeva-Liisa Manner. Bekannt wurde Manner vor allem als Lyrikerin, sie starb 1995.

Die neunjährige Leena erzählt uns mit Staunen, aber auch mit einer großen Entschlossenheit von ihrem Schulalltag, unter dem sie leidet. Aber sie lässt uns auch teilhaben an ihren kleinen, bescheidenen Freuden und an ihren Wünschen und Träumen. Als sie zufällig mit Bachs Orgelmusik Bekanntschaft macht, eröffnen sich ihr neue Dimensionen. 

Ein schmerzliches, aber doch so wunderschön poetisches Buch über ein Mädchen, das sich mit ihrer Fantasie und ihrem Einfühlungsvermögen der Tristheit ihres Lebens zu entziehen weiß. 

 

Ana Iris Simón, „Mitten im Sommer“

Hoffmann und Campe, 256 Seiten, 24,- Euro

 

„Ich beneide meine Eltern um ihr Leben in meinem Alter.“

 

Wie ein roter Faden zieht sich dieser Satz durch das Buch, in dem die spanische Autorin (geboren 1991) in flottem Ton ihre Familiengeschichte erzählt. 

Wie so viele ihrer Generation hat sie bereits dreimal ihre Arbeit verloren, kehrt der Großstadt mit all ihrer Freiheit und ihren Verlockungen den Rücken und freut sich auf die spanische Provinz. Sie erinnert sich an ihre bunte Kindheit: einerseits die Großeltern, die sich ihren Lebensunterhalt als stolze Marketender verdienten, dann wieder die sozialistisch geprägten Eltern, die als Postboten für das Einkommen der Familie sorgten. Eingebettet in die Großfamilie mit all ihren Traditionen erlebten die Kinder Fürsorge, Geborgenheit und Stabilität – eine Stabilität, die viele junge Eltern heute nach der spanischen Wirtschaftskrise ihren Kindern nicht mehr bieten können. 

 

Dominik Barta „Tür an Tür“  

Zsolnay Verlag, 208 Seiten, 23,- Euro

 

Nach seinem Buch „Vom Land“ ist dies ein weiterer grandioser Roman über menschliche Beziehungen, über das vermeintlich einsame Leben in einem Haus inmitten der Stadt, wenn man nicht irgendwann den ersten Schritt aufeinander zugeht….. 

 

Kurt, der verklemmte, nach erotischen (eigentlich d i e große Liebe) Abenteuern suchende homosexuelle Protagonist, Deutschlehrer an einer Abendschule , 6.Stock

Der nervig, hustende Nachbar in einer Wohnung nebenan, deren Wände so dünn sind, dass Kurt jegliche Wohn- und Lebensgeräusche von sich vermeiden möchte, 6. Stock

Regina, die im Labor mit Mäusen arbeitet. Sie ist den Mitbewohnern des Hauses schnell sehr „zugetan“ , 4.Stock. 

 

Maria Barbal „ Die Zeit die vor uns liegt“ 

Diana Verlag, 192 Seiten, 22,- Euro

 

Es ist nie zu spät für einen Neuanfang !  

 

Maria Barbal erzählt in wunderbar leisen Tönen von Armand und Elena. Beide um die 60 Jahre, im Leben „eingerichtet“. Jeder hat seine eigene Geschichte. Sie kennen sich vom Yogakurs. Treffen sich danach desöfteren auf einen Kaffee. Mit jedem weiteren Treffen merken beide, dass sie einander brauchen, um Halt in ihrem zu Leben zu finden.

An der Geschichte der Beiden ist nichts Ungewöhnliches….sie ist so wunderbar gefühlvoll geschrieben, dass man eintaucht und mitfühlt und sich selbst wiederfindet.

 

Daniela Dröscher, „Lügen über meine Mutter“ 

ISBN 978-3-462-00199-0, Kiepenheuer & Witsch, 448 Seiten, 24,- Euro

 

Eine klasse Milieustudie und eine Art Erinnerungsroman bringt Daniela Dröscher hier aufs Papier. Zu Recht für den Deutschen Buchpreis 22 nominiert!

 

Eine Zeitreise in die hessische Provinz der 1980ziger Jahre: Vater, gutaussehend, seine Arbeit leider nicht von dem Erfolg, den er sich erhofft, gekrönt. Eine Mutter, die mit ihrem Aussehen, ihrem Körper, ihrer Figur und ihrer Art seiner Meinung nach daran schuld ist. Denn: sie ist zu dick! Das gibt familiären Zündstoff! Und was für einen. Dazwischen das Kind, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird. Ein großartiges Zeitzeugnis vom Aufwachsen in Deutschland, Fremdschämen, Vertrauen, veralteten Körperidealen und Frau-sein.

 

Ein Roman, der nichts an Aktualität eingebüßt hat und lange nachhallt!

 

Dilek Güngör, „Vater und ich“

ISBN 978-3-957-32492-4, Verbrecher-Verlag, 112 Seiten, 19,- Euro

 

Vater und Tochter – eine schwierige Konstellation?

Ipak lebt in Berlin. Als die Mutter für eine Woche mit ihren Freundinnen in Urlaub fährt, beschließt die Tochter, den Vater für ein paar Tage zu besuchen. Den Vater, der bei Anrufen nach einer kurzen Begrüßung gleich an die Mutter weitergibt. Der nichts fragt, scheinbar kein Interesse an ihrem Leben zeigt. Sprachlosigkeit herrscht zwischen Vater und Tochter. Wann hat dieser Zustand begonnen? Und kann Ipak ihn ändern? 

 

Eine sehr einfühlsame Geschichte, berührend intensiv und ein leises und versöhnliches Ende dieses kleinen Textes. Wunderbar!

 

Max Korn, „Talberg – 1935 –

ISBN 978-3-453-42459-3, Heyne-Verlag, 400 Seiten, 15,- Euro   

 

Teil 1 der Talberg-Trilogie

Talberg, ein kleiner düsterer Ort am Rand eines Berges, der seinen Schatten auf Häuser und ihre Bewohner wirft. Talberg wird beherrscht vom alten Steiner und seiner Familie, solange man denken kann. Einer der Söhne, der Lehrer schlägt aus der Art. Er baut einen Turm aus Holz auf dem Berggipfel. Eines Tages liegt er tot am  Fuß des Turms. Ist er gestürzt, gesprungen oder wurde er gestoßen? Die Polizei stochert im Dunkeln. Da geschieht ein weiterer Mord …

 

Ein Milieukrimi, der Lust macht auf Teil 2 (spielt 1977) und Teil 3 (2022). 

 

Yrsa Sigurdardottir, Schnee“

ISBN 978-3-442-75952-1, btb Verlag, 352 Seiten, 17,- Euro 

 

Eiskalt – der neueste Krimi der wohl bekanntesten Krimiautorin Islands

Es ist immer kalt. Es ist immer dunkel. Es schneit unentwegt. Und es geschehen unerklärliche Dinge auf einer einsamen Radarstation an der Küste Islands. Gibt es eine Verbindung zu der Gruppe junger Wanderer, die vermisst wird und für die eine große Suchaktion ins isländische Hochland organisiert wird? Dort in einer abgelegenen Hütte finden die Suchtrupps Gruseliges, Dinge, die einfach nicht zusammenpassen wollen. Minutiös fügt die Autorin die Mosaiksteinchen zusammen…  

 

Cool. Yrsa Sigurdsdottir in Höchstform.

 

Alex Capus, „Susanna“

ISBN 978-3-446-27396-2, Hanser Verlag, 288 Seiten, 25,- Euro

 

Susanna - welch ein besonderes, neugieriges und mutiges Kind!

 

Auch in diesem Roman erzählt Capus die Geschichte einer historischen Figur, und zwar der Schweizer Malerin Susanna Carolina Faesch, die in Basel geboren, um 1850 als kleines Mädchen mit ihrer Mutter nach Amerika kam. Dort machte sie sich nicht nur als Porträtmalerin einen Namen, sondern auch als Kämpferin für die Rechte der Indianer.

Ein außergewöhnlicher Lebensweg, den Capus in seiner ruhigen Art nacherzählt. Leider endet seine Geschichte, nachdem Susanna mit Sitting Bull Kontakt aufnehmen konnte.

Vielleicht plant er ja eine Fortsetzung?

 

Andrej Kurkow, „Samson und Nadjeschda“

ISBN: 978-3-257-61305-6, Diogenes Verlag, 368 Seiten, 20,99 Euro

 

Die Russische Revolution als Bühne eines Kriminalromans

Der ukrainische Autor erzählt sehr facettenreich vom Schicksal des jungen Samson, der eben Vollwaise geworden ist und außerdem seines rechten Ohres beraubt wurde. Eher zufällig landet er in Kiew bei der sich aus Bolschewisten neu formierenden Polizei. Auch dank seines fehlenden Sinnesorgans, das ihm immer noch große Dienste erweist, kann er seinen ersten Fall lösen.

 

Liz Nugent, „Auf der Lauer liegen“

ISBN 978-3-96999-108-4, Steidl-Verlag, 352 Seiten, 28,- Euro

 

Familiäre Abgründe! 

 

Auch in ihrem neuesten Buch erzählt die irische Autorin von einer Familie, in der eine toxische Mutter ihr grausames Spiel treibt - vor allem mit ihrem einzigen, über alles geliebten Sohn Laurence. Immer wieder wechselnde Erzählperspektiven, die einerseits die psychischen Defekte der Mutter und andererseits den verzweifelten Kampf und die heillosen Verstrickungen der Umgebung offenlegen, treiben den Leser vorwärts. 

 

Brilliant erzählt, psychologisch raffiniert!

 

 

Sigrid Nunez, „Eine Feder auf dem Atem Gottes“

ISBN 978-3-351-03876-2, Verlag Aufbau, 222 Seiten, 22,- Euro 

 

Elegant erzählte Einblicke in das Leben der amerikanischen Schriftstellerin 

 

1995 erstmals veröffentlicht, liegt nun dieser autobiographische Roman der New Yorker Schriftstellerin auf Deutsch vor. Elegant erzählt uns Nunez von ihrem chinesisch-panamaischen Vater Chang, der für die Tochter nie wirklich präsent war, von ihrer deutschen Mutter Christa, die immer Heimweh hatte nach einem Deutschland, das es nach dem Krieg nicht mehr gab und von Vadim, ihrem russischen Liebhaber. Eine kurze heftige Liebe galt auch dem Ballett, dem das Kapitel „Eine Feder auf dem Atem Gottes“ gewidmet ist (übrigens ein Hildegard von Bingen Zitat). 

 

Kleine Mosaiksteine im Leben einer großen Schriftstellerin – ein Vergnügen darüber zu lesen.

  

Kristina Gorcheva-Newberry, "Das Leben vor uns"

ISBN 978-3-40679-131-4, Verlag C.H.Beck, 359 Seiten, 25,- Euro

 

„ Das Leben vor uns“ - ein doppeldeutiger Titel für diesen großartigen Roman der gebürtigen und in die USA emigrierten Russin, Kristina Gorcheva-Newberry.

Anja und ihre allerbeste Freundin Milka wachsen im Moskau der achtziger Jahre auf. Voller Neugier und Lebenshunger auf ihr zukünftiges Erwachsenen-Leben, das natürlich ganz anders verlaufen soll, als das entbehrungsreiche der Eltern. Doch eine Tragödie lässt Anja schneller erwachsen werden, als ihr lieb ist. Dazu kommt noch der Fall des Eisernen Vorhangs, und so beschließt sie kurz zuvor zum Studieren in die USA auszuwandern. Doch ihre Herkunft lässt sich nicht einfach abschütteln, und so muss die Vergangenheit erst aufgearbeitet werden, bevor ein Neuanfang möglich ist.

Eindrucksvoll schildert die Autorin uns einen Alltag in Moskau, den wir uns hier im Westen überhaupt nicht vorstellen können. Eindringlich und mit viel Wärme erzählt.

 

Vicki Baum, "Menschen im Hotel"

ISBN 9783462037982, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, 12,- Euro

 

Schon meine Oma hat die Romane von Vicki Baum verschlungen. Als Schülerin musste ich ihr immer wieder den nächsten Titel aus der Stadtbücherei mitbringen :). Nun sind Baum´s Romane schon vor einiger Zeit bei KiWi in so schön gestalteten Taschenbuchausgaben erschienen, dass allein schon das Cover neugierig macht auf den Inhalt. Und tatsächlich ist dieser Klassiker „Menschen im Hotel“ so elegant, leicht und mit feinem Witz geschrieben, dass er auch heute aktuell und zeitgemäß erscheint. Eine Handvoll Menschen trifft im Grand Hotel in Berlin aufeinander und für einige Stunden verweben sich ihre Leben und Schicksale vor luxuriöser Kulisse miteinander.

Weltberühmt wurde Vicki Baum mit diesem 1929 erschienen Roman, der ihr den Weg nach Hollywood ebnete und mit Greta Garbo 1932, Oscar - gekrönt, verfilmt wurde.

Und ich freu mich schon auf den nächsten Roman, vielleicht „ Zwischenfall in Lohwinkel“ oder vielleicht doch erst „Liebe und Tod auf Bali“? Ich glaube, ich bin meiner Oma ähnlicher als ich dachte :)

Großes Lesevergnügen!

Sigrid Damm, "Wandern - ein stiller Rausch"

ISBN 978-3-45868-118-2, Verlag Insel, 189 Seiten, 14,- Euro

 

Bereits 2002 ist dieser Text in Sigrid Damm /Hamster Damms Tage-und Nächtebücher aus Lappland erschienen. Und er ist eine Hommage an das Wandern, an das Gehen.

Fast schon meditativ erscheinen die Erfahrungen, die Sigrid Damm und ihr Sohn auf einer 7-tägigen Wanderung durch Lappland, das Gebiet der Samen machen. Jeder auf seine Weise, jeder in seinem Tempo. 7 unbeschriebene Blätter nimmt jeder mit. Darauf werden Reflexionen, Gedanken, Begegnungen notiert. Ein Geschenk , an diesen persönlichen Gedanken teilhaben zu dürfen. Wunderbar!!

 

Jakob Hein, "Der Hypnotiseur"

ISBN 978-3-86971-254-3, Galiani Berlin, 208 Seiten, 20,- Euro

 

Irgendwo im „Nirgendwo“, sprich im unteren Odertal tut sich Seltsames auf dem Hof von Gerda. Enkel Micha zieht nach seinem Ausschluss vom Psychologiestudium ein, bleibt nach ihrem Tod auf dem Hof und plötzlich bevölkern diesen vor allem junge Frauen, vornehmlich aus der Stadt. Micha verhilft ihnen dank der erlernten Methode der Hypnose zu Reisen an ihre Sehnsuchtsorte. Zum Dank bleiben einige der Frauen auf dem Hof, renovieren die Zimmer und beackern den Garten. Dieses Treiben wird im Dorf natürlich genauestens beobachtet und auch die Stasi hat nicht nur ein Auge auf den Hof.

Jakob Heins Roman ist lustig, tragikomisch und ein großes Sommer-Lesevergnügen.

 

Elin Wägner, "Die Sekretärinnen"

ISBN 978-3-7530-0060-2, ecco Verlag, 160 Seiten, 20,- Euro

 

Für Fans von Tove Ditlevsen kommt die Wiederentdeckung des schwedischen Klassikers von Elin Wägner genau richtig.

Bei Wägner sind es 4 junge Frauen in Stockholm zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die gern frei und unabhängig leben wollen. Und das scheint in dieser Zeit unerhört.

Die 4 leben in einer WG zusammen und versuchen ihr eigenes Geld als Sekretärinnen zu verdienen. Kein leichtes Unterfangen, verdienen doch die männlichen Kollegen für dieselbe Arbeit wesentlich mehr. Und so sind Hunger und Not ständige Begleiter und dazu noch tolle Tipps, wie zum Beispiel: sich einen Mann zu suchen und sich um Haus und Kinder zu kümmern.

Aber die 4 gehen unbeirrt ihren Weg und versuchen bestehendes Unrecht zu ändern.

 

1908 ist dieses Debüt erschienen und es hat nur sehr wenig von seiner Aktualität eingebüßt. 

 

E.T.A. Hoffmann, "Die Bergwerke zu Falun"

ISBN 978-3869711331, Galiani Berlin, 80 Seiten, 18,- Euro

 

Gold, Kupfer, Blei, Zink und Silber wurden in Falun seit dem Mittelalter bis in die 1990er Jahre gefördert. Der junge Seemann, Elis Fröbom, der von einem geheimnisvollen Alten und einem phantastischen Traum nach Falun geführt wird, um Bergmann zu werden, verschwindet an seinem Hochzeitstag spurlos im Bergwerk.

Nach Jahrzehnten, vom Vitriol scheinbar unversehrt konserviert, gibt der Berg seine Leiche wieder frei. Die auf Tatsachen beruhende Geschichte inspirierte E.T.A. Hoffmann zu seiner Novelle „Die Bergwerke zu Falun“.

Genial illustriert von Kat Menschik, erschienen in ihrer Reihe der „Lieblingsbücher“ im Verlag Galiani Berlin.

 

Zora del Buono, "Die Marschallin"

ISBN 978-3-406-75482-1, detebe Verlag, 382 Seiten, 24,- Euro

 

Mitreißend erzählt die Autorin die Geschichte ihrer Großmutter, die in Slowenien geboren, später mit ihrem Mann, einem Radiologen, in Bari residierte. Eine Salonkommunistin, die für ihre Überzeugungen eintrat und wenn es nötig war, wie eine Marschallin die Dinge in die Hand nahm. Leser von Familiengeschichten (natürlich mit Familiengeheimnis), aber auch historisch-politisch interessierte Leser (Tito spielt eine große Rolle) werden ihr Vergnügen bei dieser Lektüre haben.

 

Facettenreich, temporeich, vergnüglich – und spannend!

 

Jean-Paul Dubois, "Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise" 

ISBN 978-3423282406, dtv, 256 Seiten, 22,- Euro

 

Erst nach und nach erfährt der Leser, warum der zurückhaltende, verständige Paul Hansen in einer kanadischen Gefängniszelle gelandet ist. Als Sohn eines dänischen Pfarrers und einer französischen Kinobesitzerin wuchs er in Frankreich auf, bevor er seinem Vater nach Kanada folgte, nachdem die Ehe seiner Eltern gescheitert war. Dort findet er seinen Platz, seine Berufung - als Hausmeister in einer exklusiven Wohnanlage, in der er sich nicht nur aufopferungsvoll um das Funktionieren der Haustechnik kümmert, sondern ebenso um das Wohlbefinden der Hausbewohner. Hier findet er sein Glück, hier kommt es zum Absturz.

 

Ein zutiefst menschliches Buch! 

 

Craig Brown, "One, Two, Three, Four - Die fabelhaften Jahre der Beatles"

ISBN 978-3406783418, C.H. Beck, 670 Seiten, 29,95 EUR

 

“Ladies and Gentlemen, the Beatles!”

John, Paul, George und Ringo hautnah. Auf 670 Seiten lässt dieses Sachbuch die größte Musikgruppe aller Zeiten wieder auferstehen. Von ihren Anfängen in einer Liverpooler Arbeitersiedlung über eine Dekade unglaublicher musikalischer und kommerzieller Höhepunkte bis hin zum absehbaren Finale auf dem Dach der Apple Studios. Die Rollen vieler bekannter Wegbegleiter wie z.B. Brian Epstein oder George Martin werden ausführlich gewürdigt, aber auch weniger bekannte Protagonisten wie Pete Best oder Jimmie Nicol kommen zu Wort. Anekdoten aus erster und zweiter Hand, Erfolge und Skandale locker, gewitzt und mitreißend erzählt.

 

Wunderbar unterhaltsam, ganz so wie die zeitlose Musik der Fab Four. 

 

Delphine de Vigan,"Die Kinder sind Könige"

ISBN 9783832181888, Dumont Verlag, 320 Seiten, 23,00 EUR

 

Die 6jährige Tochter der erfolgreichen Influencerin Mélanie verschwindet eines Tages spurlos. Mélanie ist abhängig von der Liebe ihrer tausenden von Followern. Ihr Leben ist geprägt von dem Blick durch die Kamera, während ihre Kinder nur ein Leben vor der Kamera kennen. Alles ist öffentlich. So kann das Verschwinden des kleinen Mädchens auch nicht lange verborgen bleiben und der Hexenkessel beginnt zu brodeln.

Ein Gegenpol ist die alleinstehende Ermittlerin Clara, die schon immer die Öffentlichkeit scheute. Doch jetzt will und muss sie verstehen und klickt sich durch das Leben einer Familie, von der die Welt alles weiß.

Ein erschütternder Roman über ein Familienleben im Jahr 2031, ein Leben, das geprägt ist von permanenter Selbstoptimierung – und großer Einsamkeit.

 

Kerstin Campbell, "Ruthchen schläft"

ISBN 978 3 311 30005 2, Kampa Verlag, 224 Seiten, 20,- Euro

 

Ruthchen, eine hochbetagte Katze, beschließt auf ihrem Stammplatz in einer Berliner Wohnung einzuschlafen – für immer. Damit sich aber im Leben von Georg, dem fast 50jährigen Hausbesitzer, und seiner alten Vermieterin und Katzenbesitzerin Frau Lemke nichts ändert, wird Ruthchen kurzerhand der Tierpräparatorin Caro anvertraut. Und ab diesem Zeitpunkt ändert sich alles!

 

Eine warmherzige Geschichte über Fürsorge, Neuanfänge, Älterwerden und Jungbleiben.

 

Leta Semadeni, "Amur, großer Fluss"

ISBN 978 3 7152 5002 1, Verlag Atlantis, 192 Seiten, 22,- Euro

 

Die Schweizer Lyrikerin hat nun ihren zweiten Roman vorgelegt.

 

In kleinen Miniaturen erzählt die Autorin die Liebesgeschichte zwischen Olga und Radu, geprägt von schmerzvoller Abwesenheit und melancholischer Sehnsucht, wechselnd zwischen Gegenwärtigem und Vergangenem, angesiedelt zwischen einem kleinen Schweizer Bergdorf und den Ufern des Amur. Sprachlich verdichtet bleibt dem Leser viel Freiraum für eigene Gedanken.

 

Ein wunderbar poetisch gestalteter Roman über eine große, unerfüllte Liebe. 

 

Jan Weiler, "Der Markisenmann"

ISBN 978-3-453-27377-1, Heyne Verlag, 336 Seiten, 22,-Euro

 

Unerhört - ein Wohlfühlbuch!

 

Kim, 15 Jahre, hat schwere Schuld auf sich geladen. Daher beschließen Mutter und Stiefvater, sie für die Sommerferien zum leiblichen Vater zu schicken. Man brauche Abstand, so die Begründung. „Der Unscharfe“, wie Kim ihren Vater aufgrund eines verschwommenen Fotos nennt, bekommt endlich klare Kontur. Die beiden nähern sich an, sie begleitet ihn auf seinen Verkaufstouren für Markisen durchs Ruhrgebiet und steigert durch ihre 

„Ideen“ den Verkauf erheblich. Wir lernen die besten Grillbuden und Eisdielen („bei Eis immer Venezia“) kennen und verbringen die Abende am „Meiderich Beach“. Zum Ferienende drängt sich aber immer noch die Frage auf, warum hat der Vater die Familie verlassen? Und warum die Markisen mit den unsäglichen Mustern? Und dann erzählt der „Markisenmann“ seine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Verrat und Schuld.

 

Ein Buch das endlich mal wieder lustig-komisch, tragisch und mit seinem 

sehr versöhnlichen Ende berührt. Sie werden die Markisenmuster „Mumbai“ und

„Copenhagen“ lieben – versprochen!

 

Annika Büsing, "Nordstadt"

ISBN 978-3-96999-064-3, Steidl Verlag, 128 Seiten, 20,-Euro

 

Im Norden der Stadt leben die, mit denen es das Leben nicht so gut meint: die Asozialen, die Arbeitslosen. Hier herrscht Gewalt, Trostlosigkeit und Armut. Hier lebt Nele, Anfang 20, Bademeisterin mit eigenem Einkommen und eigener Wohnung. Schon als Mädchen hat ihr das "Bahnenziehen" im Schwimmbad den Halt gegeben, den sie so dringend gebraucht hat. Und sie will vergessen. Eines Tages taucht Boris auf. Er hat Kinderlähmung und versucht, durch Schwimmtraining seinem Leben eine andere Richtung zu geben. Nele "zeckt" sich an sein Herz...

 

Einfach wunderbar erzählt von Annika Büsing in ihrem Erstling. 

 

Joachim B. Schmidt, "Tell"

ISBN 978-3257072006, Diogenes, 288 Seiten, 23,-Euro

 

Wer kennt sie nicht, die Gründungssaga der Schweiz. Die Geschichte von der Armbrust und dem Apfel. Vom verzweifelten Vater, der auf seinen Jungen schießen muss. Vom unbeugsamen Schweizer Nationalhelden, Wilhelm Tell. 

 

Aber so, wie sie Joachim B. Schmidt erzählt, kennt man sie garantiert nicht. Wie in einem furiosen Actionkrimi führt der Autor seine Leser durch die einzelnen Szenen. In kurzen Episoden erzählen die verschiedenen Protagonisten die Vorkommnisse aus ihrer persönlichen Sicht. Es entsteht wie bei einem Puzzle nach und nach das Gesamtbild eines wortkargen und eigenbrödlerischen Bauern und gleichzeitig eines hochsensiblen und in seiner Kindheit traumatisierten Vaters. 

 

Ein fesselnder rasanter Roman. Wir wünschen lustvolles Verschlingen.

 

Christiane Hoffmann, "Alles was wir nicht erinnern"

ISBN 978-3-406-78493-4, C.H.Beck, 279 Seiten, 22,-Euro

 

Bewegend und berührend, ohne dem Leser auf die Pelle zu rücken!

 

Vielleicht sind Sie ja als Kind auch gern unterm Tisch 

gesessen und haben den Gesprächen und Erinnerungen 

der Erwachsenen gelauscht? Christiane Hoffmann hörte auf 

diese Weise viel vom, in der Erinnerung leicht verklärten, 

schlesischen Ort Rosenthal. Nach dem Tod ihres Vaters beschließt sie 2020 den Fluchtweg der Familie von Rosenthal Richtung Westen zu Fuß nachzugehen. Und kommt so sich und der Familie des Vaters näher. Ihr Erzähltalent verbindet eindringlich die Familiengeschichte mit Vergangenheit und Gegenwart. 

 

Eine besondere Art der Vergangenheitsbewältigung!

 

Markus Gasser, "Die Verschwörung der Krähen", 

ISBN 978-3406781506, C.H.Beck, 238 Seiten, 23,-Euro

 

Abenteuerlich und atemlos!

 

Im London des 18. Jahrhundert herrschen wilde Zustände. Und ein Mann wird gejagt – Daniel De Foe, der sich mit dem Gesetz anlegt und verfolgt wird. Grandios erzählt Markus Gasser die Geschichte de Foe ́s, Unternehmer, Journalist, Kirchengegner der sich gegen Queen Anne Stuart stellt, eine Königin, die ihre Meinung täglich genauso oft ändert wie sie ihre Garderobe wechselt. Treffen Sie auf schräge Typen, korrupte Politiker, intrigante Helfershelfer, Fake News und starke Frauen!

 

Furios und spannend zu lesen.

 

Bettina Flitner, "Meine Schwester", 

ISBN: 978-3-462-00237-9, KiWi-Verlag, 320 Seiten, 22,-Euro

 

Ein Geschenk an uns Leser!

 

Unaufgeregt schreibt sich Bettina Flitner den Schmerz über den Suizid ihrer Schwester vor einigen Jahren hier von der Seele. Sie berichtet vom Aufwachsen der Mädchen in den 70er- Jahren im linksliberalen Bürgertum, erzählt von Reisen und dem Leben in New York. Von der ersten Liebe und dann auch von der fortschreitenden Überforderung der Schwestern mit den offen gelebten außerehelichen Beziehungen der Eltern, den Berufswünschen der Eltern für ihre Töchter, der Depression der Mutter und dem Zerbrechen der Familie. Ein mutiges und wichtiges Buch, in dem sich die Autorin den Gespenstern der Vergangenheit und der Familiengeschichte stellt. Wunderbar zu lesen, stellenweise erinnern die Großelternpassagen an Meyerhoff, immer achtungsvoll, immer zugewandt.

 

Absolut beeindruckend und unbedingt lesenswert.

 

James Strawbridge, "Frische Gemüseküche"

ISBN 978-3-8310-4384-2, DK-Verlag, 304 Seiten, 200 farbige Fotos und Illustrationen, über 135 Rezepte, 24,95 Euro

 

Die Lesbar- Testküche ist wieder mal (nach Ottolenghi, Simple) in Action!

Entdeckt haben wir James Strawbridge, der gerade mit dem Titel „Frische Gemüseküche“ unsere Gemüseschäler, Reiben, Töpfe, Pfannen und den Backofen zum Glühen bringt :). Saisonal werden die Gemüsesorten vorgestellt, alle zu verwertenden Bestandteile aufgelistet, "Zero Waste" - Ideen geteilt und dann gibt es zu jedem Gemüse wunderbar einfache aber soooo leckere Rezepte zum Nachkochen, dass selbst  Anfänger ihren Spaß an Gemüse haben werden.

Der Anhang liefert noch Inspiration zum Aufbewahren und Haltbarmachen.

 

Also - worauf noch warten: Ran ans Gemüse!

 

Lars Mytting, "Ein Rätsel auf schwarzblauem Grund"

ISBN 978-3-458-17939-9, Suhrkamp Verlag, 539 Seiten, 26,- Euro

 

Der zweite Teil der hochgelobten nordischen Familiensaga.

 

Jehans lebt  zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Bauer im norwegischen Gudbrandsdalen. Er ist der Sohn von Astrid, der Heldin des ersten Saga-Teils, "Die Glocke im See". Der Alltag in dem engen Tal wird bestimmt von der Mühsal des Lebens, der Macht der Natur, von alten Geschichten und Traditionen. Der unbeugsame Jehans erkennt den Nutzen der Wasserkraft. Mit Hilfe der Elektrizität bringt er Licht ins Dunkel der Vergangenheit.

 

Beide Romanteile sind ein absolutes Lesehighlight. Sie bringen Spannung, Mystik und großes Lesevergnügen. Die Kenntnis von Band 1 ist empfehlenswert, aber keine Voraussetzung für das Verständnis.

 

Jarka Kubsova, "Bergland"

ISBN 978-3-442-31618-2, Verlag Wunderraum, 288 Seiten, 20,- Euro

 

Die bewegende Geschichte einer Bergbauernfamilie in den Alpen über drei Generationen.

 

Südtirol in den vierziger Jahren: Im abgelegenen Tiefenthal staunen selbst gestandene Bauern, als ihnen Rosa vormacht, wie man einen Hof ganz alleine durchbringt. Zwei Generationen später sind Rosas Enkel Hannes und seine Frau Franziska auf Feriengäste angewiesen, um den Hof zu halten...

 

Ein Roman, der uns und unserem Wachstums- und Fortschrittsglauben den Spiegel vorhält. Lesenswert bis zur letzten Seite.